Unsere Kirche
Die Evangelische Kirche Ueberau

Die früheste bekannte urkundliche Erwähnung der Kirche stammt vom 23. Dezember 1316, als ein Ritter Heilmann von Dudilnsheim (Düdelsheim) "den Hof zu dem Dorfe Oberahe (Ueberau), da die Kirche inne stet, ..." mit den zugehörigen Liegenschaften von dem Werner, Herr zu Lißberg, ankauft und dem Ritter Werner von Reinheim für dessen Frau Gyessiln (Gisela) als Wittum überläßt.

Die Ueberauer Kirche, vermutlich zu einem ursprünglich klösterlichen Gutshof gehörend, war damals rund hundert Jahre alt. Der romanische Baukörper dieser Kirche (querliegendes Langhaus im Westen, gleichbreiter dreigeteilter Chorvorraum und quadratischer Chor im Osten) aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde in der zweiten Hälfte frühgotisch umgestaltet.

Schauen wir von der heutigen Mitte des Langhauses unserer Kirche aus in östlicher Richtung, kann deren anfängliche Baugeschichte auf einen Blick erfaßt werden. Der mittlere Abschnitt des Chorvorraums, begrenzt durch die nördliche freistehende Rundsäule und die zum Teil in die Mauer eingelassene südliche Säule (beide 2,30 m hoch bei 1 m Schaftdurchmesser) sowie den dazwischen verlaufenden Rundbogen, gibt einen schönen Eindruck von der massig-wuchtigen und gedrungenen spätromanischen Bauweise aus den Anfängen der Kirche. Wir können noch das damalige Raumbild erahnen, wenn wir uns die Funktion dieser nördlichen Rundsäule verdeutlichen: Sie trägt die schweren Bogenfüße der großen Öffnungen zwischen Chorvorraum und Langhaus, außerdem lastet auf ihr der Rundbogen zwischen der nördlich liegenden Turmkapelle und der heutigen Vierung (dem Raum vor dem Altar). Zwei giebelförmig abgedachte Sakramentsnischen in den Längswänden des Chors und ein in die Kirchhofsmauer eingelassenes Portal, das "Wersauer Türchen", dessen monolithe Gewände lange Wetzrillen tragen, sind ebenfalls dieser Zeit zuzurechnen.

Die frühgotische Umgestaltung läßt sich ebenfalls heute noch gut nachvollziehen. Der oben genannte mittlere Teil des Chorvorraums wird mit einem Rippengewölbe überspannt. Die Ablagen (Dienste), wo der mittlere Gurtbogen aufliegt, sind plastisch mit Efeublättern verziert, der Gewölbeschlußstein ist mit Rosen versehen. Im Chor lag der dem hl. Jodocus (Jost), einem bretonischen Pilgerheiligen geweihte Hauptaltar, der Chorraum schloß rechteckig ab bei den östlichen Konsolen, die mit großen streng wirkenden Kopfmasken geschmückt sind (die auf der Südseite ist größtenteils abgeschlagen). Die vier Gewölbefelder des Chorjochs bekamen Freskengemälde. Drei davon sind heute wieder sichtbar, ein "Gnadenstuhl" (auf dem Thron Gottvater, der das Kreuz mit dem Leib des Heiland trägt) im westlichen Feld, die Evangelisten Matthäus (Engel, gut erhalten) und Johannes (Adler, nur spurenhaft) im nördlichen sowie die Evangelisten Lukas (geflügelter Stier) und Markus (geflügelter Löwe) im südlichen Gewölbefeld.

Richten wir unseren Blick weiter nach Osten, kommen wir zum Chor, dessen Gewölbe mit schmalen gekehlten Rippen und einer 3/8-Nische (Apsis) in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand. In diese Apsis wurden drei zweigliedrige Fenster mit spätgotischen Nasen und herzförmigem Oberlicht eingesetzt. Dieser spätgotische Umbau brachte auch die jetzige Form und Größe des Langhauses mit jeweils zwei Maßwerkfenstern und einer dazwischenliegenden Spitzbogentür, gerahmt von zwei tiefen Kehlen beiderseits eines Rundstabs. Vermutlich war für diesen Umbau der am 8. September 1480 verstorbene Pfarrer Johannes Gotzmann verantwortlich, dessen Grabplatte wir in der heutigen nördlich gelegenen Taufkapelle finden. Dort befinden sich auch zwei Grabdenkmäler eines ortsansässigen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verstorbenen adligen Ehepaars Sinolt. In dieser Kapelle ist der zweite Ueberauer Altar, der Marienaltar anzunehmen. Heute steht darin der Taufstein aus dem frühen 13. Jahrhundert (aus Neunkirchen stammend); der alte Ueberauer Taufstein befindet sich im Landesmuseum in Darmstadt. Das dreigliedrige Maßwerkfenster mit drei Dreipässen im Oberlicht ist das schönste der Kirche.

Die Reformation wurde in der Obergrafschaft Katzenelnbogen, zu der auch Reinheim und Ueberau gehörten, vom Landgrafen Philipp dem Großmütigen im Jahr 1527 eingeführt. Wahrscheinlich wurde die Ueberauer Kirche zu einer evangelischen Predigerkirche umgestaltet (Aufstellung einer Kanzel, Beseitigung des Altarbereich und Langhaus trennenden Lettners). Welche Zerstörungen diese Zeit und der Dreißigjährige Krieg der Kirche brachte, ist nur zu vermuten; 1577, 1653 und 1665 gab es mehrere umfängliche Reparaturen. Wenden wir uns nun nach Westen, so erkennen wir, wie die 1721 erfolgte barocke Umgestaltung die Kirche veränderte (Einbau der Hauptempore auf der Westseite, belichtet durch zwei ovale Barockfenster). Durch zwei weitere Emporen (an der Nordseite und im Chorraum) wurde die Innenarchitektur der Kirche stark verändert; auf die Chorraumempore kam 1750 die alte Reinheimer Orgel, die dann 1844 durch eine neue ersetzt wurde.

1882 mußte die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen werden; 1883/84 brachte eine gründliche Renovierung (mit einer Turmerhöhung um 2½ m); eine weitere Renovierung 1939 "befreite" den Chorraum von Orgel (diese kam an die Westseite) und Empore. Die vorletzte Renovierung wurde 1966 abgeschlossen. Dabei wurde auch die jetzige Orgel angeschafft, und im südlichen Joch des Chorvorraums wurde eine Sakristei eingebaut.

Die Kirche wurde seit 2010 grundlegend saniert und dabei in Abstimmung mit dem Denkmalschutz auf den historischen Bauzustand von 1883/1884 zurückgeführt. Dabei wurden auch die beiden bis dahin zugemauerten Bögen an der südlichen Säule geöffnet, und statt der Sakristei von 1966 wurde der südliche Nebenchor wieder errichtet. Die Sanierung der Kirche kostete fast eine Mio. Euro. Um die Gemeinde bei ihrem Anteil von ca. 165.000 Euro finanziell zu unterstützen, haben die Ueberauer Bürger über 117.000 Euro gespendet.

Am 2. September 2012 wurde die Kirche wieder ihrer Bestimmung als Ort der Gottesdienste übergeben.

Text: Dr. Gerd Buggle / Herbert Plöger


Wenn man einmal anfängt zu graben ...

Nachdem schon vorher in der Flucht des 3/8-Abschlusses des Chorraums alte Fundamentreste zutage kamen, wurden bei den Ausschachtungsarbeiten für die neue Heizung Fundamentreste freigelegt, die möglicherweise noch älter sind. Zumindest konnte im Gegensatz zu den erstgenannten Fundamentresten kein Anschluss an das derzeitige Fundament festgestellt werden. Allerdings kann es auch sein, dass hier bei früheren Renovierungen die Spuren verwischt bzw. zerstört wurden. Auch wurde bei früheren Renovierungen nichts hierüber dokumentiert, genauso wenig, wie über den zweiten Fund: etwa 30 cm unterhalb des derzeitigen Fußbodenniveaus wurden gotische Fliesen- und Estrichreste freigelegt. Sehr interessant sind auch die Fundamente der Säulen zwischen Langhaus und Chor. An der rechten Säule wurde eines bei den Heizungsarbeiten freigelegt.

Wenngleich diese Spuren der Vergangenheit wieder zugedeckt wurden, so gehen sie dieses Mal nicht vergessen, denn sie wurden fachmännisch von einem Bauhistoriker dokumentiert. Somit werden diese und etliche weitere wichtige baugeschichtliche Informationen über unsere Kirche auch späteren Generationen zur Verfügung stehen.

Gotische Fliesenreste


Fundamentrest


Säulenfundament